»Der Stadtturm, steinalt, der obige Torturm mit Uhr und Geläute. Hat nicht heut Mittag das Sterbeglöckchen gebimmelt? Mal sagen, ein Regentag. Im November, im März. Wird gleich jede Hausfrau daheim in der Küch' sich die Kuchschürz' ab - nein, eher noch wird sie schnell eine saubere Ausgehschürze über die Kuchschürz' drüber: hinten zubinden beiderlei Bändel, erst eine Schleife und dann obendrauf noch ein Knoten, kundig ein Doppelknoten. Von hinten sieht man sich nicht, das ist wahr. Kopptuch, Einkaufstasche und Geldbeutel, schnell! Die Haustür zu, den Schlüssel noch in der Hand und schnurstracks jetzt hat sie doch noch die Pantoffeln an beiden Füßen und es regnet tagaus-tagein; es regnet, sooft es nicht schneit. Also nochmal: Schlüssel, Geldbeutel, Schuhe. Die Gummistiebel, die Reihenfolge, der Regenschirm. Geldbeutel, Schlüssel und Schürzenbändchen, jetzt sind ihr für den heutigen Abend im voraus schon die Kartuffeln verkocht - besser, als wenn sie es gar nicht gemerkt hätte. Ruckartig hin zur Haustür, der Schlüssel wo? Sie hätte sich gern schon von hinten davonhasten sehen! Die hiesigen Haustürschlüssel sind allesamt wie Suppenkellen so groß, wie Brecheisen mindestens: doch gewandt wie Karnickel verkriechen sie sich. Und schweigen verstockt. Heißt es das Sterbeglöckchen oder heißt es das Totenglöckchen, wie soll man da sagen bei uns? Man geht aus der Tür, das Leben ist fremd.«
aus: Kein Frühling (2014)